Die Konzeptualisierung des Staates als ein Gebilde mit Rechtspersönlichkeit hat eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des französischen und deutschen öffentlichen Rechts gespielt und ist auch eines der Grundprinzipien des Völkerrechts. Die ersten Theorien, die den Staat zu einer Rechtsperson machten, entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts und lösten noch zu Beginn des darauffolgenden Jahrhunderts heftige Debatten in der Lehre aus. Seltsamerweise hat diese Debatte in der schweizerischen Lehre nur kaum Anklang gefunden. In der Schweiz ist es zwar traditionell anerkannt, dass der Staat und allgemein die Gemeinwesen juristische Personen sind, doch weder die dogmatische Grundlage dieser Persönlichkeit noch ihre materielle Tragweite sind wirklich klar. Der vorliegende Beitrag hinterfragt diese scheinbare Lücke und stützt sich auf die verschiedenen Theorien des Personenstaats, die in Frankreich und Deutschland entwickelt wurden, sowie auf den Begriff der juristischen Person des öffentlichen Rechts, um die rechtliche Stellung des Staates im Schweizer Recht zu untersuchen. Die Autorin kommt zum Schluss, dass der Staat nach dem Gewohnheitsrecht eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Es wird jedoch argumentiert, dass die Unterscheidung zwischen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Rechtspersönlichkeit in Bezug auf ihren materiellen Inhalt relativiert werden muss. So unterscheidet sich die Rechtspersönlichkeit des Staates in ihrem Umfang nicht inhärent von der Persönlichkeit, die Privatpersonen geniessen. Im Schweizer Recht kann die Personifizierung des Staates somit nicht erklären, was den Staat zu einem besonderen rechtlichen Phänomen macht, und stellt keine begriffliche Notwendigkeit dar. Sie ist vielmehr eine pragmatische Antwort auf das Bedürfnis, dem Staat Rechten und Pflichten anzurechnen.
DOI: 10.3256/978-3-03929-059-8_04